„Nicht Erdbeben töten Menschen, sondern Häuser“ –

BInUCom – Workshop zu Disaster Risk Assesment and Management, Lund, 24. – 27.5.2016

Wer erinnert sich hierzulande heute noch an das verheerende Erdbeben, dass 2001 den nordindischen Bundesstaat Gujarat erschütterte? Eben: kaum jemand. Zu oft hat zwischenzeitlich anderswo die Erde gebebt, haben Wirbelstürme gewütet, sind Flüsse todbringend über die Ufer getreten und ganze Hänge unter Schlammlawinen kollabiert. Wer sollte da nicht den Überblick verlieren?

Ja, bestätigt unsere Projektpartnerin Dr. Christine Wamsler vom Lund University Centre for Sustainability Studies (LUCSUS) der Universität Lund, Schweden, die uns diese Woche mit ihrem Spezialgebiet Disaster Risk Assesment and Management bekannt macht, die Anzahl von Naturkatastrophen, bei denen Menschen zu Schaden kommen, hat in den vergangenen Jahrzehnten signifikant zugenommen. Aber es sind eben nicht diese Katastrophen per se, die Tod und Verzweiflung bringen; Es sind Hütten und Häuser – zumal die schlecht und billigst gebauten – in Gefahrenzonen, die zusammenstürzen, Menschen unter sich begraben, davon gespült werden etc.

Aber: erdbebensicher, flutresistent oder auch brandhemmend zu bauen, kostet Geld – Geld, das die Armen in vielen urbanen Siedlungen des indischen Subkontinent bekannter maßen nicht haben. 20 bis 35.000 von ihnen bezahlten das 2001 in Gujarat mit dem Leben.

In den Folgejahren gab es umfangreiche Bemühungen im Zuge des Wiederaufbaus möglichst erdbebensichere Häuser zu errichten – indem beispielsweise mit 1 : 1 Modellen auf Rütteltischen demonstriert wurde, welche Häusertypen im Ernstfall stand halten und welche eben nicht. Der unmittelbaren Eindrücklichkeit dieser Bilder kann man sich schwer entziehen und sie verfehlte auch bei der lokalen Bevölkerung damals nicht ihre Wirkung (wie man hier sieht hier  unter > SHOCK TABLE TEST VIDEOS).

Gut 15 Jahre später allerdings berichten unsere ProjektpartnerInnen aus Ahmedabad, der Hauptstadt des damals betroffenen Bundesstaates Gujarat, dass Erdbebensicherheit bei den ortsansässigen Maurern heute keine Priorität mehr darstellt – schließlich fragen ihre lokalen, privaten Auftraggeber diese bei der Errichtung neuer Häuser auch nicht mehr nach. Denn erdbebensicher zu bauen verursacht Mehrkosten, siehe oben.

Was also ist schief gelaufen? Vermutlich hätte es von Seiten der nationalen und regionalen Politik einen noch deutliche längeren Atem gebraucht um gerade auch die meist immer noch nicht formell ausgebildeten, lokalen Maurer in ein Ausbildungssystem einzubinden, das sie auch langfristig mit den statischen Erfordernissen des Bauens in einer Erdbebenregion vertraut macht.

Stattdessen hat auch hier ein gewisser Pragmatismus Platz gegriffen: statt völliger Erdbebensicherheit ist das Ziel heute vielmehr Gebäude so zu bauen, dass sie zu mindestens sicher verlassen werden können, falls die Erde wieder einmal beben sollte. Dass die Häuser danach dann eventuell doch zusammenstürzen, nimmt man damit also in Kauf.

Strikte Vorgaben zur Erdbebensicherheit etwa in der Bauordnung festzuschreiben wäre damit sicher nicht im Sinne der urbanen Armen in Gujarat; stellen die vielfach nur auf dem Papier bestehenden Bauvorschriften im Zweifelsfall doch die schmale Grenzlinie dar, die formelles von informellem Bauen trennen kann – und gibt Behörden und Verwaltungseinheiten ein Werkzeug an die Hand um unerwünschte Bebauung als „illegal“ bezeichnen und zur „Bestandfreimachung“ ausschreiben zu können.

Auch haben vieler Orten Blechdächer die vormals weit verbreiteten Ziegeldächer ersetzt; schließlich waren es gerade diese schweren Dächer gewesen, die 2001 viele Menschen erschlagen hatten. Die thermisch dämpfende Wirkung der massiven Ziegel ging damit allerdings ebenfalls verloren und die sommerliche Hitze des indischen Nordwestens macht die Blechdach-Hütten heute schnell zu regelrechten Backöfen.

 

„Wenn die PlanerInnen kommen, folgt die Räumung“

Das Beispiel Gujarat zeigt wieder, was vielen in der Entwicklungsarbeit klar ist, Fördergeber aber oft nicht wahr haben wollen: mit zeitlich begrenzten „Projekten“ ist eine nachhaltige und langfristig positive Veränderung nur schwer anzustoßen. Das ist auch unseren PartnerInnen vom Kamla Raheja Vidyanidhi Institute for Architecture and Environmental Studies (KRVIA) in Mumbai bewusst: „Wir arbeiten seit langem mit einigen marginalisierten Gemeinschaften vor Ort zusammen, jenseits jeglicher Drittmittelfinanzierung – wir sehen das als unseren gesellschaftlichen Auftrag.“

Klar ist aber auch: Wirklich signifikante, weil großflächige Veränderungen sind nur möglich, wenn es gelingt die regionale und nationale Politik zu verändern. In einem volkswirtschaftlichen Umfeld, in dem aller Grund und Boden kommodifiziert – also zur Ware gemacht – wird, zieht sich der Staat wie in Indien völlig aus dem Aufgabenfeld Wohnbau zurück und überlässt alleine dem Markt das Feld, der die Wohnraumversorgung der Bevölkerung gesamthaft bewerkstelligen soll.

Mit dem Modell der Quersubventionierung der Wohnungen für Einkommensschwachen durch die gleichzeitige Vergabe von Entwicklungsrechten für hochpreisigen Luxuswohnbau scheint das möglich zu werden. Wäre da nicht die Tatsache, dass für die Billigwohnungen reduzierte Anforderungen gelten – eine Art Bauordnung zweiter Klasse für die Armen etwa nach dem Motto: „Die Armen im Slum wohnen ja auch sehr dicht, die sind das gewohnt, also können sie auch in ihren neuen Wohnungen so dicht leben.“

Wenn also informell bebautes Land für ImmobilienentwicklerInnen interessant wird, dann droht dies zunehmend eher zur Gefahr denn zur Chance zu werden; Und die BewohnerInnen der betroffenen Siedlungen wissen aus schmerzvoller Erfahrung: wenn erst einmal die PlanerInnen kommen, dann folgt bald die Räumung. Nur zu verständlich also, dass uns bei unseren diversen Besuchen in derartigen Gebieten – sei es nun in Indien, Lateinamerika oder Äthiopien – stets sehr aufmerksame, forschende Blicke folgen: Ortsfremde Personen, zumal weißhäutige, tauchen hier nie ohne berufliches Interesse auf und allzu oft kommen sie mit Aufträgen zur „Neuentwicklung“.

Oder aber: sie sind KünstlerInnen. Das nämlich ist ein Trend, den unsere ProjektpartnerInnen zunehmend beobachten: Kunstprojekte im Slum als eine neue, egalitärer wirkende, aber nichts desto trotz reichlich paternalistische Form der Charity. Das here Ziel, die Existenz von Armutsquartieren per se zu verhindern, wurde aufgegeben, weil ohnedies unrealistisch und überdies für den/ die Einzelne(n) nicht erreichbar, der – oben beschriebene – Weg Politik beeinflussen und verändern zu wollen erscheint langwierig und fremd, insbesondere für ArchitektInnen, PlanerInnen und KünstlerInnen mit ihrem berufsbedingten Hang zur Intervention. Also werden „die Armen“ als eine homogene Masse romantisiert (dass sich gerade auch in den Slums Mumbais Hindus und Moslems anfeinden und ausgrenzen, bleibt etwa meist völlig ausgeblendet) und der Slum wird als etwas stilisiert, wovon man lernen kann.

Was natürlich nicht heißen soll, dass es da nicht sehr wohl einiges zu lernen gäbe[1]; Beispiel gefällig? Am 26. Juli 2005 fiel in Mumbai an einem Tag so viel Regen wie unser Orten während eines ganzen Jahres; die gewaltigen Überschwemmungen, die die Stadt daraufhin heimsuchten, fanden allerdings in der Weltpresse nicht annähernd so viel Beachtung wie die wenig später durch Hurrikan Katherina ausgelösten in New Orleans. Da wie dort fanden tragischer weise ca. 1000 Menschen den Tod – mit dem Unterschied, dass Mumbai um ein Vielfaches bevölkerungsreicher ist (die Opferzahl in relativen Zahlen also wesentlich niedriger lag) und eben nicht in einem der reichsten und mächtigsten Staat der gegenwärtigen Welt liegt. Die BewohnerInnen New Orleans verließen sich denn auch weitgehend auf einen vermeintlich schlagkräftigen Katastrophenschutz – der nicht, zu spät oder in ungenügender Form einsetzte.

In Mumbai dagegen erwartete man gar nicht erst Hilfe vom Staat, der Stadtverwaltung oder sonstigen Obrigkeiten – jahrzehntelange Erfahrung (und viele monsunbedingte Überflutungen in der Vergangenheit) hatten die BewohnerInnen gelehrt, sich in erster Linie selbst und gegenseitig zu helfen. Couragiertes Zupacken und wechselseitige Solidarität sollen demnach diesen und die folgenden Tage gekennzeichnet haben. Und das ist es allemal wert zur Nachahmung anzuregen[2].

 

[1] Auch ich selbst habe mich erst unlängst des programmatischen Titels „Learning from India“  befleißigt, als ich im Rahmen des alljährlichen Forum Building Science des Departments für Bauen und Umwelt an der Donau Universität Krems von unserem Workshop in Mumbai berichtete und meine ZuhörerInnen dazu einlud, anhand des dort Gesehenen über Fragen wie die Kommodifizierung des Wohnens, slumfreundliche Städte oder die belebende Wirkung von urbanem Funktionenmix nachzudenken.

[2] Um hier nicht der Verlockung des Schwarz/ Weiß – Malens zu erliegen sei darauf hingewiesen, dass insbesondere unsere ProjektpartnerInnen aus den südindischen, deutliche kleineren Städten Vijayawada und Coimbatore ebenfalls von der dort weit verbreiteten Auffassung berichten, im Katastrophenfall „wird’s die Armee schon richten.“

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